Susanne Schneider
Vertragsverhandlungen – eine etwas andere Sichtweise
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Mein Name ist Susanne Schneider.
Ich arbeite seit vielen Jahren als selbstständige Logopädin, habe berufsbegleitend ein Studium der Diplom-Sozialwissenschaften absolviert und bin seit 5 Jahren bei LOGO Deutschland aktiv.
So bin ich Mitautorin von LOTSE und habe WAT ausgiebig studiert: Beide Gutachten liefern jede Menge „Futter, um endlich die Taube vom Dach herunter zu bekommen“.
Um eine angemessene Patient*innenversorgung in Zukunft sicher stellen zu können, dürfen wir uns gerade jetzt nicht mit “Spatzen“ zufrieden geben, denn so werden wir auf Dauer einfach zu wenig sein bzw. nicht genug werden. Wenn wir uns weiterhin mit “Spatzen” begnügen, wird unsere Berufsgruppe immer magerer!
U.a. durch die demografische Entwicklung, den steigenden Fachkräftemangel und weitere gesellschaftliche Veränderungen, wie etwa die Veränderung von Lebenskonzepten und Rollenbildern, steht auch die ambulante Logopädie vor enormen Herausforderungen. Wir müssen möglichst alle Kolleg*innen mitnehmen, die gut ausgebildet sind, und ihnen keinen Grund zur Abwanderung in andere Erwerbsmöglichkeiten geben. All´ diese Menschen haben neben den Arbeitsbedingungen, die sie für gute Arbeit benötigen und die sie zufrieden stellen, ein angemessenes Einkommen verdient, egal ob sie in einer kleinen oder größeren Praxis tätig sind.
Daneben brauchen wir viele neue, qualifizierte, junge Kolleg*innen, die ebenfalls begeistert den Beruf ausüben. Wir müssen dafür sorgen, dass künftig NIEMAND mehr von uns in der Altersarmut landet. Genau vor diese Aufgabe hat uns der Gesetzgeber JETZT mit dem TSVG gestellt. Von der ambulanten Logopädie sollen wir selbstständig leben können, sowohl die Praxisinhabenden als auch die Angestellten, und dazu gehört eben auch eine angemessene Altersabsicherung.
Betrachten wir die Zahlen von WAT: Im Jahr 2018 hatten Praxisinhabende im Durchschnitt einen Überschuss erwirtschaftet, der in etwa einem Bruttomonatsgehalt von 2764,- € (inklusive sämtlicher Sonderzahlungen) entspricht. Praxisinhabende, die alleinige therapeutische Kraft in ihrer Praxis sind, lagen lediglich bei etwa 2272,- €. Mit diesem Einkommen hat der oder die Praxisinhabende das Risiko der Selbstständigkeit zu tragen und initial und laufend Kapital einzubringen, um überhaupt dort arbeiten zu können. Zusätzlich sind die Arbeitszeiten länger als die der Angestellten. Das ist nicht gerade ein attraktives Einkommen, und auch keines von dem eine ausreichende Altersvorsorge betrieben werden kann.
Die in den Praxen therapeutisch tätigen Angestellten verdienten 2018 laut WAT im Schnitt 2458,- € brutto monatlich. Die Jahre davor waren für alle noch dürftiger, wie auch LOTSE gezeigt hat.
Nun sind seit 2018 die Vergütungen der logopädischen Leistungen gestiegen, für die 45min mit den Patient*innen etwa um durchschnittlich 28% . Ein beträchtlicher Anteil der gestiegenen Vergütungen wurde von den Unternehmer*innen in die Mitarbeitenden investiert. So zeigen u.a. die Zahlen der Berufsgenossenschaft eine Steigerung der Gehälter der Angestellten in den Praxen von 2018 auf 2019 allein um 15%. Von 2019 auf 2020 kann von weiteren Steigerungen der Angestelltengehälter ausgegangen werden. Gleichzeitig kamen seit nun mittlerweile 9 Monaten erhebliche Kostensteigerungen durch die Pandemieauflagen und deutliche Umsatzverluste auf die Praxen zu, die nicht entsprechend ausgeglichen wurden.
Vor uns stehen auch die Herausforderungen der Digitalisierung und der Blankoverordnung. Das Einkommen und die Gehälter in den ambulanten Praxen sind weiterhin absolut nicht akzeptabel und bei nur geringen weiteren Steigerungen der Vergütungen werden wir künftig kaum ausreichend viele, qualifizierte Menschen motivieren können, sich selbstständig zu machen, oder überhaupt diesen Beruf zu ergreifen.
Wir setzen uns an anderer Stelle für die Vollakademisierung ein. Von akademischen Einkommen scheinen wir noch weit entfernt, auch wenn mehr und mehr an Hochschulen ausgebildete Kolleg*innen in den Praxen arbeiten.
In WAT wie auch in LOTSE wurden vom Gutachter keine akademischen Gehälter angesetzt, sondern für die Praxisinhabenden TVöD 9b als Vergleichsreferenz gewählt, um einen Zielumsatz für die Praxen zu errechnen. Diese Einstufung ist ein Minimum.
Um dieses “Täubchen“ zu bekommen, brauchen Selbstständige, die alleinige therapeutische Kraft sind – und das sind zur Zeit über 50% der Selbstständigen – ca. 90,- € Vergütung pro “Patient*innenkontakt“. Das kann einfach über die Zahlen von WAT, über die GKV-HIS Berichte (hier werden die erbrachten Leistungen erfasst) und die Gesundheitspersonalrechnung des Statistischen Bundesamtes (hier wird u.a. die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse in ambulanten Praxen erfasst) ausgerechnet werden.
Die 90,- € können verschieden aufgeteilt werden, etwa auf eine Pauschale pro geleisteter Behandlungseinheit und einer zusätzlichen Pauschale für Hausbesuche, mit denen dann alle “Neben”-leistungen abgedeckt sind, oder auf viele verschiedene Einzelleistungen, wie etwa auf eine Vergütung der Behandlung/des Hausbesuches und zusätzlich auf die Vergütung weiterer Leistungen (Berichte, Prüfung von Verordnungen, Einziehen der Zuzahlung, Maßnahmen zur Erfüllung notwendiger Hygieneauflagen, interprofessionelle Zusammenarbeit etc.).
Dieser Mindestpreis ist eine Voraussetzung, um die Patient*innenversorgung mittel- und vielleicht auch langfristig sicherzustellen, sozusagen eine notwendige Bedingung. (Ob die Bedingungen auch hinreichend sind, das steht auf anderen Blättern – u.a. auch im Rahmenvertrag). Und genau die Sicherstellung der Versorgung der Versicherten, das ist die Aufgabe der Kassen, auch gerade jetzt. Denn dieser Mindestpreis erlaubt es uns, attraktiv zu bleiben bzw. zu werden, für genügend gute – sowohl bereits aus- und vielfach fortgebildete als auch künftige – Logopäd*innen, derer es für die Versorgung bedarf.
Es gibt noch viele weitere Gründe, diesen Preis auch höher anzusetzen, die Kolleg*innen hier schon genannt haben. Wenn jetzt Preise darunter als vermeintlich derzeitig “wirtschaftliche Preise“ abgeschlossen werden, begehen wir einen großen Fehler, den wir uns selber, aber den uns künftige Kolleg*innengenerationen und vor allem auch die Menschen, die logopädische Leistungen in Anspruch nehmen, nicht verzeihen werden: Letztere werden in dem Fall in sehr vielen Regionen des Landes sehr, sehr lange darauf warten müssen, dass es freie Therapieplätze gibt, oder eben schlecht oder gar nicht versorgt werden.
Sollte in der am 14.12. veröffentlichen Vergütungsvereinbarung ein niedrigerer Preis stehen und gleichzeitig dieser Preis als “wirtschaftlich“ deklariert werden – ob explizit oder implizit – stimme ich gegen diese Vereinbarung, da das dann Stagnation bedeutet und für die Entwicklung der Logopädie nicht erstrebenswert ist.
Das menschliche Hirn kann mehr als ein Spatzenhirn. Nutzen wir es und vergeben in dem Fall nicht die Chance, dass die Schiedspersonen ihre Aufgabe im Sinne des gesetzlichen Auftrages gut machen!
(Und an alle Spatzen: Ich mag euch – ehrlich – doch genug mit “weiblicher“ Genügsamkeit, ohne Täubchen läuft es jetzt nicht wirklich gut weiter… und wenn ich mal in Rente bin, dann träume ich von der ausgewachsenen Taube, die künftige Logopäd*innen in der Hand halten und davon, dass es genügend junge Frauen und Männer gibt, die sich weiter dafür einsetzen, dass dieser Traum wahr wird: Es muss keine Utopie sein.)